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Eine der „stillen Revolutionen“ der Ophthalmologie

Eine der „stillen Revolutionen“ der Ophthalmologie

Quervernetzung der Hornhaut – Ohne oder mit Excimerlaser-Ablation?

im Original erschienen in „Ophthalmologische Nachrichten, 06.2016“

LANDSHUT Seit Einführung der Hornhaut- Quervernetzung in die klinische Ophthalmologie durch Seiler, Spörl, Wollensak und andere Kollegen der Dresdener und Züricher Arbeitsgruppen vor etwa zehn Jahren, ist es möglich, die Progression des fortschreitenden Keratokonus in mehr als neun von zehn Fällen zum Stillstand zu bringen. Besonders bei Kindern kann die Progression mitunter sehr schnell verlaufen. Eine Behandlung kann dann innerhalb weniger Wochen geboten sein.

Die Keratokonus-Inzidenz beträgt in Mitteleuropa etwa 1:2000. Der klinisch noch nicht manifeste Forme Fruste Keratokonus wird jedoch mit einer Häufigkeit von 1:200 angegeben.

Bei der Einteilung der Keratokonus- Stadien hat sich zunehmend die klinisch orientierte Einteilung nach Krumeich gegenüber der von Amsler durchgesetzt. Nach Suzuki M. et al. 2007, wird Progression bei manifestem Keratokonus wie folgt definiert:

  • Zunahme von Keratometrie
  • Zunahme des manifesten Astigmatismus nach subjektiver Refraktion um mindestens 1 dpt
  • Zunahme der sphärischen Refraktion um mindestens -0,5 dpt
  • Abnahme des Kontaktlinsenrückflächenradius um mindestens 0,1 mm jeweils innerhalb eines Jahres
  • Notwendigkeit der erneuten Kontaktlinsenanpassung innerhalb von zwei Jahren.

Bei der klassischen „Hornhautquervernetzung“ nach dem Dresdener Protokoll wird Riboflavin 0,1 % verwendet. Die LED-UV-Lichtquelle emittiert eine Wellenlänge von 365 nm, die Bestrahlungszeit beträgt 30 Minuten bei einer Leistung von 3 mW/cm². Die Gesamtenergieabgabe beträgt 5,4 mJ/cm².

Welche Wirkungsmechanismen liegen der Hornhautquervernetzung auf molekularer, biochemischer und zellulärer Ebene zugrunde?

Nach Mrochen et al. führt die Bestrahlung des intrastromalen Riboflavins mittels UV-Licht zur Freisetzung von freien Sauerstoffradikalen. Diese wiederum induzieren die Bildung neuer, kovalenter Bindungen innerhalb und zwischen den Kollagenfibrillen. Über diesen Mechanismus sollen die Kollagenfibrillen fester miteinander verbunden und die Steifigkeit der Hornhaut erhöht werden.

Neuere Untersuchungen stellen jedoch die Quervernetzung im Bereich der Hornhaut-Matrix in den Vordergrund. Nach Meek et al. 2012, und Hayes et al. 2013, führen diese Quervernetzungen auf der Ebene der Hornhaut- Matrix nicht nur zu einer Versteifung der Matrix selbst, sondern auch zu einer festeren Verankerung der Kollagenfibrillen in und mit der extrazellulären Matrix der Hornhaut.

Ihrer biomechanischen Hypothese zufolge kommt es bei ektatischen Hornhaut-Erkrankungen zu einem interlamellären und intrafibrillären „Herausschlüpfen“ des Kollagens aufgrund eines Verlustes von Kohäsion der einzelnen Kollagenfibrillen untereinander wie auch gegenüber der Matrix. Dies würde im Bereich der vorderen Lamellae zu einer Desinsertion aus der Bowman’schen Membran und im Bereich der hinteren Lamellae zu einer Lockerung im Bereich des Limbus führen. Eine, nach Ansicht des Autors, sehr interessante Hypothese, die, aufgrund biochemischer Untersuchungen, zunehmend untermauert wird.

Bildschirmfoto 2016-06-24 um 14.14.39Neben diesen sofort eintretenden physikochemischen Veränderungen beginnen, nach Spörl, Mazzotta, Caporossi, Knappe et al. nach etwa 24 Stunden bis drei Monaten nach Quervernetzung zelluläre Umbauvorgänge innerhalb der Hornhaut. Zunächst kommt es zu einer Apoptosis der Keratozyten bis in eine stromale Tiefe von 300–350 nm. Darauf folgt eine Repopularisierung der Hornhaut durch sogenannte aktivierte Keratozyten, die wiederum, nach Wollensak, dickere und festere Kollagenfibrillen produzieren. Diese Umbauprozesse gehen mit einer an der Spaltlampe sichtbaren sogenannten „Demarkationslinie“ einher. Diese Demarkationslinie ist das klinisch sichtbare Zeichen für die Tiefe der erfolgten Quervernetzung. Später, nach etwa sechs Monaten, kommt es zu einer zentralen Abflachung der Hornhaut um 1,0– 1,5 dpt. Eigene Ergebnisse an 64 Augen bis zum Jahr 2011 konnten Reiter (3) Josef Reiter ambulante Ophthalmologische Nachrichten | 06.2016 augen-op | special | 13 diese Abflachung gut belegen (Abb. 1). In den meisten Fällen kann auch ein Anstieg des unkorrigierten und bestkorrigieren Visus um ein bis zwei Zeilen beobachtet werden.

Diese Effekte sind durch zahlreiche, auch kontrollierte, Studien gut belegt. (Wittig-Silva C et al. J Ref Surg 2008;24(7):720–725).

Bildschirmfoto 2016-06-24 um 14.14.45Langzeitstudien über bis zu zehn Jahren dokumentieren die anhaltende Stabilisierung der Hornhaut. (Raiskup, Spörl, The Dresden Long Term Results, 2011.). Abbildung 2 zeigt einen eigenen, seit neun Jahren stabilen Fall. Das Auge wurde vor sieben Jahren mit einer phaken IOL (Veriflex) versorgt, die Refraktion und der Visus sind seither stabil.

Individualisierte Hornhautquervernetzung plus Laser? Die Langzeitstabilisierung des progressiven Keratokonus mittels Hornhautquervernetzung nach dem Dresdener Protokoll ist durch zahlreiche Studien gut belegt. Nach Ansicht des Autors kann die klinische Bedeutung dieser neuen Therapieoption nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie zählt zu den eher „stillen Revolutionen“ der Ophthalmologie.

Viele Autoren weltweit stellen nun die Frage, ob man sowohl beim progressiven als auch beim stabilen Keratokonus durch gezielte, möglicherweise sogar individualisierte Hornhautquervernetzung – gegebenenfalls in Kombination mit dem Excimerlaser – eine gezielte Verbesserung von Refraktion und Visus erreichen kann. Dieses hochgesteckte Ziel scheint in vielen Fällen durch Veränderungen der Bestrahlungsparameter sowohl mit als auch ohne zusätzliche Excimerlaser-Behandlung möglich.

Die auch in eigenen Studien gut belegten Komplikationen von postoperativer Wundheilungsstörung, Infiltraten, häufig auftretender ausgeprägter Sicca-Symptomatik, störenden dauerhaften Narbenbildungen sowie Spontan-Perforationen mit nachfolgender perforierender Keratoplastik, sollten derzeit zur zurückhaltenden Indikation ausschließlich beim progressiven Keratokonus mahnen. Es gibt zahlreiche, sehr interessante klinische Ansätze durch Veränderung der Quervernetzungsparameter bis hin zum „Customized Crosslinking“ (Avedra). In Kombination mit dem Excimer-Laser scheint das sogenannte „Athens Protocol“ von Kanellopoulos an Bedeutung zu gewinnen.

Es bedarf aber sicher noch großer Anstrengungen hinsichtlich der Grundlagenforschung, wie auch entsprechender klinischer Studien, um weitere Quervernetzungsprotokolle, neben dem Dresdener, als effizient und sicher für definierte Indikationsbereiche zu entwickeln und abzusichern. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich das Verfahren der Hornhautquervernetzung weiter diversifizieren und differenzieren wird, nicht nur um den progressiven Keratokonus zu stabilisieren.

Autor:
Dr. Josef Reiter
Augen-MVZ Landshut
Veldener Str. 16 a
84036 Landshut
Tel.: 0871-943-000
E-Mail: info@augenreiter.de
www.augenoperationen.de

Quelle: Ophthalmologische Nachrichten, 06.2016